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Im Einbaum auf dem Tsiribihina
- durch den trockenen Westen
von "Nik"Klaus Polak & Nadine Martin, Bonn, Germany
Verzeichnis aller Reiseberichte
Übersichtsseite Madagaskar
Reiseberichte und -informationen
|
Die viertägige Fahrt fand Ende Juni
2010 statt. Organisiert wurde die Tour durch das Reiseunternehmen
Roadhouse-voyages des Wahlmadagassen und Deutschen Klaus Sperling, das ich empfehlen kann. Kostenpunkt: 600 €
pro Person inkl. Anfahrt von Tana und Fahrt nach Morondava = insgesamt 8 Tage -
all inclusive. Nicht gerade billig, aber aus zuverlässiger Quelle wurde dringend
dazu geraten, da es eine lange Liste von Beschwerden über windige einheimische
Anbieter
direkt vor Ort gibt, die nicht das bieten, was zu Anfang der Fahrt versprochen
wird - bis hin zu Totalverlusten. Bei deren deutlich niedrigeren Preisen für
die Fahrt in Pirogen um 3-400 € sind diverse Eigenleistungen zu erbringen, wie
z.B. das Kochen. Teils müssen eigenes Campingmaterial und die Verpflegung
mitgebracht werden oder man gibt sich mit deutlich geringerer Qualität
zufrieden. Nicht immer liegen zudem die erforderlichen Lizenzen vor. Es ist zu überlegen, wenn auch nicht abzuraten, ob man diese
Angebote annehmen möchte. In jedem Falle bedarf es einer genauen Prüfung.
Sollte sich allerdings der Anbieter vor der Abmeldung in der Polizeistation mit
windigen Argumenten herumdrücken, sollte man grundweg ablehnen. Auf KEINEN FALL
sollte Geld vor der Bereitstellung der gepackten Kanus fließen. Dies ist
sicherlich eines der größten Vertragsprobleme, da viele einheimische Anbieter
kaum über die Mittel der Vorabfinanzierung verfügen.
Eine weitere Alternative sind meist zweideckige, recht komfortable
Motorboote, die etwa
30 km südlich von Miandrivazo auf dem dort schon tieferen Zufluss starten und die
gesamte Strecke mit einer
Übernachtung zurücklegen. Der Nachteil ist, dass sie recht laut sind, wodurch
zwar nicht die Flora, aber die Fauna davon laufen wird. Zudem bewegen sie sich
relativ schnell, so dass Einzelheiten entlang des Flusslaufes verpasst
werden könnten. Auch muss man auf dem ersten, nicht uninteressanten Tagesabschnitt auf dem Mahajilo -
dessen Zusammenfluss mit dem Mania und dem Sakeny schließlich den Tsiribihina
bildet -, der nur mit einem Kanu gemacht werden kann, verzichten.
Während es in der touristischen Boomphase der vorherigen Jahre teils zu
Engpässen bei den Pirogen kam, kann man heutzutage mit einiger Sicherheit davon
ausgehen, immer eine Transportmöglichkeit zu finden.
Es ist empfehlenswert, sich mit einer kleinen Erste-Hilfe sowie persönlich ggf.
erforderlichen Medikamenten zu versorgen. Unterwegs gibt es über lange Strecken
keine Cellphone-Verbindungen, medizinische Hilfe ist im günstigsten Falle
stundenweit entfernt.
Ergänze: Miandrivazo macht einen staubigen, heißen Eindruck. Am Abend vor der Abfahrt besuchen wir eine "Beerdigungs-Disko".
Eine Prozedur für alle - nach einem Mord an einem französischen Touristen durch einen Pirogier - ist die Abmeldung beim Polizeiposten direkt am Markt. Hier finden wir in den beiden einzigen Zellen auch die Alkoholleichen der vorherigen Nacht wieder. Bei Ankunft in der Stadt Belo sur Tsiribihina, 20 km vor der Meeresmündung, hat man sich wieder, hoffentlich wohl behalten, anzumelden.
Danach beginnt unsere auf vier Tage und drei Nächte angelegte Flusstour inmitten einer munteren Schar von Frauen und Kindern, die ihre Wäsche und sich selbst am sandigen, ob der Größe der Stadt jedoch relativ sauberen Ufer. Männer wird man erst nach der Arbeit am späten Nachmittag sehen. Unvermeidlich sind die mehr oder weniger fordernden Fragen der Kinder: im besten Falle nach Seife oder Stiften, kariesschädigenden Bonbons oder Geld. Vermutlich kämen sie gar nicht auf die Idee, hätten nicht schon andere Touristen damit um sich geworfen. Vor uns starten bereits drei weitere Gruppen, in der Polizeistation haben sich an diesem Tag ca. 20 Touristen gemeldet, die allerdings auch Touren in die Umgebung unternehmen oder mit dem 30 km entfernt startenden Motorboot fahren.
Unsere Gruppe besteht aus dem deutschen Pärchen Ute und Clemens sowie meine kleine, aber süße Französin und ich. Jeweils zu zweit bekommen wir eine der knapp 10 m langen Pirogen zugeteilt. Sie werden bevorzugt aus einem Baum gefertigt, der als Schorea (oder ähnliche Aussprache; auch Ginotia [Givotia?] wurde genannt) gefertigt wird. Als Rückenlehne dienen die Rucksäcke, abgepolstert mit aufblasbaren Schaumstoffmatten, auch für das Hinterteil liegen Kissen bereit. Nach unten wird gegen das eindringende Wasser mit Brettern und darüber liegenden Matten abgedichtet, ein Regenschirm steht als Sonnenschutz zur Verfügung - letzterer selbst ein Muss für Vorgebräunte. Zelte und Schlafsäcke sind in Tragetaschen verstaut, die als komfortable Beinunterlage dienen. Abwechselnd befindet sich einer unser beiden Führer (Serge und Luc) im Bug. Käptn Georget hat seinen Sohn Hala zum Anlernen mitgebracht, beide sind im Heck für Antrieb und Steuerung zuständig. Letzteres ist auch unbedingt notwendig. Der Fluss mäandert stark in dem zunächst durchschnittlich 100 m breiten Hauptbett mit seinen unzähligen Kies- und Sandbänken, die sich zudem laufend verändern. Sie lassen uns insbesondere auf der ersten Tagesstrecke immer wieder auflaufen und es kostet enorm viel Zeit und Kraft, das Kanu wieder frei zu bekommen. Den Fluss zu lesen ist eine besondere Kunst und es bleibt uns selbst nach vier Tagen ein Rätsel, wie der Pirogier die untiefenfreie Strömungsrinne in der Regel findet. Zwar bekommen wir kleine Einführungskurse über Wellenformen, Strömungsgeschwindigkeiten und -richtungen, die von der Oberfläche Rückschlüsse auf den Untergrund zulassen, liegen bei eigenen Einschätzungen dennoch häufig verkehrt. 169 km sind es bis zu unserem Zielort, mindestens 230 km werden es aber durch die Zickzackfahrt werden.
Schon bald ist das stellenweise bis zu 3 m hohe Flussufer dicht mit Schilf [Elefantengras, Binsen? Im ff. vereinfacht als Schilf bezeichnet] bewachsen, das von Wicken durchwachsen ist. Weitere Vegetation stellen nur einige wenige Bäume, darunter vereinzelte Mangos dar, dahinter lassen sich gelegentlich Maisfelder erahnen. In dem Röhricht, auf Sandbänken und Treibgut halten sich einige Kuh- 92 und Graureiher (Ardea cinerea, Grey Heron, 90-100 cm) auf. In den hohen Schilfhalmen sitzen grünliche Madagaskarspint oder Madagassische Bienenfresser (Merops superciliosus, Madagascar Bee-Eater, 23-30 cm) mit rötlicher Kehle. Sie haben die Jagdmanier von Eisvögeln übernommen, halten allerdings nach Insekten über der Wasseroberfläche Ausschau. Die akrobatischen Flieger sind leicht an ihren dreieckig, spitz zulaufenden Flügeln zu erkennen. Offensichtlich haben sie die Nische der Schwalben besetzt und zu einem Großteil verdrängt. Jedenfalls lassen sich diese nur an wenigen Abschnitten beobachten; umgekehrt fehlen in diesem Falle dann die Bienenfresser fast vollständig. Auf dem Rücken wunderschön metallisch blau gefärbte Eisvögel (Corythornis vintsioides, Madagascar Kingfisher, 15 cm) mit roter Unterseite - die Männchen zudem mit einem schmalen blauen Bruststreifen - sind auf größere Beute unter Wasser aus. Auch ein Madagassischer Coucal (Centropus toulon, Madag. toulon, 45-50 cm) lässt sich blicken. Der Kuckucksvogel fällt durch einen sehr langen Schwanz, rostbraune Flügeldecke sowie metallisch tiefblaugrünen Rücken auf. Er hält sich gerne in dem hohen Gras der Reisdämme, aber auch im Röhricht auf. Ein Merkmal ist sein sehr bodennaher Flug und ein rhythmisch-monotones einfaches oder mehrfaches Schlagen (chonk-chonk-chonk ...), als ob Wassertropfen auf eine sehr dünne Metallplatte fallen würden. Krähen (Corvus albus, Pied Crow, 46-50 cm) mit auffallend weiß gefärbter Brust, was sich als weißes Band auch um den Nacken fortsetzt, paarweise oder in kleinen Kolonien, umkreisen uns neugierig und werden später aufmerksam jeden unserer verlassenen Rastplätze durchsuchen. Über all dem kreisen Schwarzmilane (Milvus [migrans] aegyptus, Yellow-billed Kites, 56 cm).
Zwischenzeitlich unterhalten uns Gesänge vom Ufer, die zugehörigen Menschen
bleiben zunächst unsichtbar. Vom vor uns liegenden Hügelkamm steigen schwarze
Rauchsäulen von brennendem Steppengras auf, untermalt von grauen Rauchsäulen
am Ufer - sie sollen uns bis zum Ende der Fahrt begleiten, vorläufig die
einzigen Lebenszeichen in dieser straßenlosen Gegend, zumindest was befestigte
Wege angeht.
Kurzfristig erweitert sich das Gewässer zu einem zwischen 200 und 400 m
breiten See. In dessen schmalen, noch feuchten Überschwemmungsbereich wurden, noch
innerhalb des Hauptbettes liegend, Reispflänzlinge gesetzt; in der Hoffnung,
dass der Wasserspiegel nicht mehr steigt.
Wasserhyazinthen treiben in kleinen Inseln, Einzelexemplare werden sich
loslösen und einen kurzen Lebenszyklus bis zum Meer verbringen, wenn sie sich
nicht zwischenzeitlich irgendwo verankern können. Nach 2 Stunden Fahrt, wir haben vielleicht gerade einmal 5-6 km zurückgelegt,
verengt sich der See zu einem knapp 100 m breiten Ablauf, wodurch es deutlich
schneller vor sich geht.
Auf der linken Seite taucht das erste Holzhüttendorf
auf, eine rege Bautätigkeit ist zu hören und sehen. Grund für die Siedlung
ist wohl in erster Linie eine Seilzugfähre. Stolze 40.000 Ar kostet das
Übersetzen, weswegen gewartet wird, bis etwa 20 Personen zusammen gekommen
sind. Wer sich das nicht leisten kann, muss durch den Fluss waten, der den nicht
gerade groß Gewachsenen manchmal bis Unterkante Unterlippe reicht.
Nach knapp vier Stunden und nur 15 km Fahrt passieren wir ein zweites Dorf, aus dem
uns lautstark die Begrüßung der Kinder entgegen schallt.
Vorgegeben durch eine höhere, von Nord nach Süd verlaufende Bergbarriere,
schwenkt der Fluss Richtung Süden ab und verengt sich weiter auf 100 bis 50 m
Breite, wodurch unsere Geschwindigkeit vorübergehend weiter erhöht wird. Zwei
Meter tief soll es hier sein. 5½ Stunden nach Abfahrt ist eine kleine Sandsteinschwelle im Fluss
erreicht, für einige Touristen die erste Pausenstation, zumal hier ein
schattiger kleiner Strand einlädt.
Erste
Pirogiers, die Touristen stromab befördert
haben, kommen uns mit langen Stangen gegen die Strömung stechend entgegen: 3-5 Tage hin, 7-9 Tage
zurück! Einer hat ein Teil seines Engelds in drei kleine Schweine umgesetzt, die er unterwegs
für nur 10.000 Ar das Stück (!) erworben hat. Sie sind in der Gegend für
viele Menschen fady, sei es, dass sie selbst Moslems sind oder schlicht die
Tradition der moslemischen Ahnen weiterführen, obwohl sie selbst inzwischen eine
andere Religion angenommen haben. Letztlich soll es dem Pirogenführer egal
sein, für ihn ist der dadurch extrem niedrige Preis ein absolutes Schnäppchen.
Ganz offensichtlich verständigt man sich untereinander in einer komplexen
Pfeifsprache. Leider habe ich es in den ganzen folgenden Tagen immer wieder
vergessen, näher danach zu fragen. Vielleicht schafft es ja einer der
kundigeren Leser mich darüber aufzuklären.
Ein Schwarm - leckerer - Krickenten (Dendrocygna viduata,
43-53 cm, White Faced Duck und D.Fulvus sowie D.bicolor, 43-50 cm, Madag. Sarcelle) - mit allerdings
wenig Fleisch; angeblich gibt es auch ein Jagdverbot - hat sich an einer Sandbank in Reih und Glied eingefunden und
scheint alle paar Meter einen Reiher als Wächter engagiert zu haben.
Kurz
darauf errichtet die Besatzung unser erstes Mittagslager. Eine behelfsmäßig
aufgestellte Plane sorgt für ein wenig Sonnen- und Windschatten. Kaum zu
glauben, aber der Organisator hat tatsächlich einen Teil der in Behenjy
gekauften Gänseleber für uns abgezweigt und wir vertilgen die noch gut
gekühlte Spezialität inmitten der Wildnis von Madagaskar mit wachsendem
Genuß. Selbst die größten Entenstopfleberverweigerer können sich zumindest
einer Kostprobe nicht enthalten.
Nach knapp sieben Stunden schwenkt der Fluß in einem weiten Bogen nach links. Rechts tritt an einem Hügelabhang ein markantes Felsband heraus, oberhalb auf dem Hügel ist eine Grabstelle mit einer steinernen Umfassung zu erkennen. Aus Angst vor seinem Geist wurde die gesamte Cebuherde des Verstorbenen geschlachtet, was für die Trauergemeinde ein einwöchiges Festessen bedeutete. Trauergemeinde ist vielleicht ein wenig falsch gewählter Begriff. Zu dem Begräbnis wurde extra ein Haus mit vier großen Zimmern errichtet. Nur eins davon diente der weinenden Nachkommenschaft. In einem zweiten durfte rhythmisch geklatscht werden, als Steigerung dazu fand im dritten Raum die Musikabteilung ihr Zuhause und im vierten - die hier ansässige Ethnie ist für ihre Freizügigkeit diesbezüglich sehr bekannt - konnte jeder, der den Wunsch dazu hegte, munter und fröhlich Alkohol und Sex genießen.
Foto:
© Nadine Martin, Bonn
Weiter geht die Fahrt vorbei an einzelnen Gehöften und kleinen
Hüttenansammlungen. Mais-, Bananen-, Reisanbau und eine graubraune Sorte leckerer
Süßkartoffeln stellen die Grundversorgung. Ein Schwarm Papageien
(Caracopsis nigra, Lesser vasa Parrot, 35 cm) bringt ein wenig Abwechslung in der langsam eintönig
werdende Flusstour, da sich
die Natur kaum oder nur langsam verändert. Zu vermerken ist beidseitig eine etwas dichtere Vegetation mit höheren Bäumen,
weiterhin dominiert allerdings Schilf die Flussufer. Mit Glück entdeckt man
darin ein Chamäleon. Der Mahajilo hat sich an
diesem Abschnitt kanalartig tiefer in seine eigenen Sedimente eingegraben.
Gleichzeitig wechselt die Farbe des Wassers von hell nach dunkelbraun,
vielleicht wegen der schwarzen Erdschicht, die nun überlagert.
Etwa 35 km sind in gut acht Stunden geschafft und es wird das erste Nachtlager am Zusammenfluss von
Mahajilo, Mania und Sakeny, die ab hier den Tsiribihina bilden, errichtet.
Das gut eingespielte Team hat trotz bereits einbrechender Dunkelheit in kurzer Zeit
unsere selbsttragenden Kuppelzelte errichtet, während die Mannschaft unter Planen neben den
Booten schlafen wird. Zunächst aber wird unser Abendessen gekocht, während wir
es uns bei einem Aperitif am Lagerfeuer gemütlich machen. Im Angebot sind
Pastis, Wein, Whisky, Punchcoco, Bier und Antialkoholika, auf Wunsch hätten es
auch weitere Getränke sein können - all inclusive. Mit dem Sonnenuntergang kühlt die Luft erstaunlich rasch ab. Waren es gegen
13 Uhr noch an die 30°C im Schatten, erfrischt durch eine fast stetige Brise
über dem nur 23°C kühlen Wasser, so sinkt mit Sonnenuntergang die Temperatur
auf 24°C, weiter fallend. Zusätzlich frischt ein
kühler Westwind auf, setzt für eine halbe Stunde aus, um dann von der entgegengesetzten Himmelsrichtung aus dem Hochplateau wieder einzusetzen. Eine dicke
Jacke - gut dass meine auch eine gefütterte Kapuze hat - macht sich nun durch
mollige Wärme bezahlt. Gut auch, dass ich noch ein paar Strümpfe mit dabei
habe, es gibt Leute, die mich nun beneiden.
Ein wärmendes, wenn auch arg qualmendes Lagerfeuer, ein wunderbar klarer Sternenhimmel mit einer
deutlich sichtbaren
Milchstraße, wie sie höchstens nur noch in Wüsten oder anderen entlegenen Teilen
der Erde zu sehen ist, ein warmes Bier ... was will der Mensch mehr?
Von hier an können wir auch die ersten, bis zu 12 t Ladung fassenden Motorboote
hören, die eiligere Touristen beförderten, und lautstark kurz vor Mitternacht
an uns vorbei heimwärts zur nächsten Tour tuckern. Leider trüben auch meine
selbstaufblasbaren Luftmatrazen die Nachtruhe: genauso wie sie
sich selbst aufblasen können, lassen sie die Luft wieder ab und ich liege auf
dem verlockend erscheinenden weichen Sand ungemütlich hart. Entsprechend meldet
sich am nächsten Morgen der Lumbalschaden laut protestierend und es dauert eine
ganze Weile, bis die eingerosteten Knochen sich einigermaßen wieder sortiert
und die Gelenke geschmiert
haben. Unterdessen ist das Zelt abgebaut, die Matratzen und Schlafsäcke im Kanu
verstaut, das Frühstück von der Besatzung bereits vorbereitet. Auch die Cola,
mein Frühstücksersatz, ist kalt, die Temperaturen sind bis vor Sonnenaufgang deutlich unter gefühlte 15°C gesunken, die Schlafsäcke haben sich als
unabdingbar herausgestellt.
In der Nacht züngelten Feuerfronten entlang des westlich liegenden Hochplateaus
von Bemaraha, am
Morgen sehen wir die schwarz verbrannten Kammlagen, die sich 600-650 m ü.N.N.,
vielleicht 2-300 m über dem Flussniveau erheben. Nur in den Rinnen und Senken grünt weiterhin ein
Restbuschbestand, der sich zum Fluss hin verdichtet und von einstigem dichterem
Wald kündet. Zwar war der Westen Madagaskars geoklimatisch schon immer von
Niederschlägen benachteiligt, ob es allerdings schon vor dem Menschen schon so trostlos
kahl war, ist auch unseren Führern nicht bekannt.
Dank an eines hilfreichen Hinweises von David Kupitz (siehe auch seine Literaturempfehlung
zu diesem Thema), konnte diese Frage im Nachhinein zumindest teilweise geklärt
werden: Bereits vor der menschlichen Besiedlung herrschte in großen
Teilen der Insel - entgegen einem sich hartnäckig haltenden Mythos, die gesamte
Insel wäre zuvor von dichtem Urwald bewachsen - eine savannenähnliche
Landschaft, wie David Burney und andere Paläoökologen nachweisen konnten.
Ich wage allerdings die Behauptung, dass die höher wachsende Vegetation in prähistorischen
Zeiten nicht so extrem dezimiert war.
Der Tsiribihina schwenkt an diesem Hindernis in einer scharfen 90°-Wendung nach Süden und erweitert sich kurz nach Aufbruch zu einem langgestreckten See von 200 bis zu 300 m Breite. (Besonders diese Angaben sind schwierig, da nur wenige Zentimeter höherer Wasserstand gleich eine enorme Verbreiterung bewirken können. Man betrachte sie daher nur als Anhaltspunkte.) Temporäre Reisfelder auf fruchtbaren Sandbänken säumen den Fluss, auf den nun deutlich höheren Uferböschungen dominiert weiterhin ein Schilfgürtel. Der glücklichere Teil unserer kleinen Reisegruppe sichtet bei einer Hyanzintheninsel ein kleines Krokodil (Crocodilus milotecus), das allerdings vor unseren Augen bereits erschreckt abgetaucht ist.
Käpt'n Georget prüft das Einbaumboot.
Nach einer Stunde Flussfahrt erhebt sich auf der linken Seite ein gut 10 m hohes
Felsufer auf Sandstein, der vor Äonen abgelagert wurde. Gleichzeitig erweitert
sich der Tsiribihina vorübergehend wieder zu einem See und erreicht den schmalen
Waldrand des Hügelabhanges. An Sandbänken sollen sich hier Lemuren zu bekannten
Uhrzeiten einfinden. Wir haben leider nicht das Glück, möglicherweise sind wir zu spät aufgebrochen. Hätten wir das gewusst, hätten wir
uns auch eher aus den Schlafsäcken gepellt. Auch auf der gegenüberliegenden,
weit entfernten Flussseite lassen sich Baumbestände ausmachen, offensichtlich profitiert
auch hier die
Flora von einer Luvseite.
Nach zwei Stunden wird eine kurze Rast eingelegt. Kurz darauf erzwingt der Fluss
in einer scharfen 90°-Wendung nach Westen einen schlangengleichen Durchbruch
durch das von Nord nach Süd verlaufende Plateau du Bemaraha. Die Flussfarbe wechselt zu einer schokoladenbraunen Vollmilch, ein
Schluck dürfte unbedenklich sein, jegliche Ansiedlungen sind weit entfernt.
Auch der Koch nutzt das Wasser, bis auf einen Zwischenfall, der vermutlich eine
andere Ursache hatte, bleibt jedoch jeder Magen-Darm-Trakt in Normalfunktion.
Wir bewegen uns in den nächsten Stunden durch die etwas überdramatisch Schluchten
genannten Täler des Tsiribihina, beidseitig
flankiert von 2-400 m hohen Hügelkämmen, die sich gelegentlich auf 50-60 m
erniedrigen. Wir werden den Eindruck nicht los, uns auf dem Urrhein irgendwo
zwischen Bingen und Bonn zu bewegen - es fehlen allerdings die Weinreben und Dörfer
und natürlich der Verkehr des romantischen
Mittelrheins. Während die nördlich ausgerichteten Hänge bis auf die Kammlagen
dicht bewaldet und überwiegend immergrün sind, weisen die
südlicheren hauptsächlich laubabwerfenden Bewuchs auf. Entsprechend des z.Z.
herrschenden Winters schwankt so irritierend der Blick zwischen zwei entgegen gesetzten Jahreszeiten. Die Ufer
säumen häufig bis zu 10 m hohe, sehr fein geschichtete, schön anzusehende
Sandsteinablagerungen. Möglicherweise befindet sich
darüber stellenweise Kalkstein, an einigen wenigen Stellen konnten
wir andeutungsweise Tropfsteinvorhänge beobachten. Der Fluss verengt sich an mehreren
Stellen auf nur noch knappe 80 m. Selten sieht man auf den nur noch vereinzelten
Sandbänken temporäre Schilfhütten, deren Bewohner bei sinkendem Wasserspiegel
Reisanbau auf Minifeldern von manchmal nur wenigen Quadratmetern betreiben. An einer hält unser Pirogenführer. Er hat
auf der letzten Fahrt ein neues Paddel bestellt und holt es nun ab. Das neue ist für ihn, sein altes
bekommt der Sohnemann. 4000 Ar sind dafür fällig, recht preiswert, wie er meint.
Nach insgesamt sechs Stunden Flussfahrt taucht auf der linken Seite ein markanter
Felsabbruch auf. Hier halten wir, zahlen stolze 6000 Ar pro Person Eintritt
(!) - aber bitte schön: höchstens 1-2 Stunden Aufenthalt! - und begeben uns eine sanft ansteigende, knapp
250 m lange Schlucht hinauf (10 min), die
mit größeren und kleineren Felsbrocken durchsetzt ist. Dabei queren wir ein
flaches Rinnsal, das sich an zwei Stellen zu blaß-grünlichblauen, etwa 20 m²
großen natürlichen Schwimmbecken
gestaut hat. Vermutlich handelt es sich um Kalkschlamm, der die Färbung
hervorruft. 10.000 Ar Eintritt pro Person - aber bitte schön: höchstens 2-3
Stunden Aufenthalt! Am Ende der Schlucht ragen die Felsen gute 20-30 m hinauf,
sicherlich ein Eldorado für Sportkletterer. Auch Wasserfallklettern mag
ein Spaß sein, selbst in der Trockenzeit rauscht er 18 m mit beeindruckendem
Durchlauf hinab und
lädt geradezu zum Duschen und Abkühlen ein. Aber Vorsicht: Der abgesetzte
Kalkschlamm ist tückisch rutschig, die Landung auf dem Felsboden schmerzhaft!
Oberhalb des ersten Falls soll es übrigens noch einen weiteren Pool geben. Offensichtlich ist dazu aber eine mehr oder wenig steile
Kletterpartie erforderlich. Dort befindet sich auch eine über 1 km lange, 2-3 m
hohe und 3-4 m breite Grotte mit einem kleinen See. Fledermäuse übernachten
dort am Tage und betrachten die Welt kopfüberhängend. 10.000 Ar Eintritt pro
Person - aber bitte schön: höchstens 2-3 Stunden Aufenthalt! Aus diesem Grund
ist auch immer ein Aufpasser dabei, der aber keine Armbanduhr hat und uns
laufend nach der Zeit fragt ...
Direkt nach Weiterfahrt erheben sich beidseitig höhere
Sandsteinaufschlüsse, rechts bis zu 30 m, die direkt in den Fluss ragen. In
einem Baum hockt ein kleiner, grün gefärbter Papagei (Agapornis cana,
Grey-Headed Lovebird, Madag. Vaza - nicht zu verwechseln mit dem weißen Touristen = Vazaha [fast
gleiche Aussprache], 15 cm), zwei, drei Falken (Franz. faucon) kreisen, ansonsten ist die ganze
Tour nicht gerade ein Eldorado
für Ornithologen. Eine halbe Stunde später taucht nach langer Zeit wieder eine
Hüttenansammlung auf, ein einsames Radio versorgt alle Anwohner mit ein wenig
krakelender Unterhaltungsmusik. Etwas weiter sind zwar keine Hütten zu sehen, aber wie so häufig
Kinder zu hören.
Nach neunstündigem Tagespensum erreichen wir unser zweites
Nachtlager, das unsere drei mitgeführten Hühner nicht überleben werden ... .
Wieder bietet unsere Heimatgalaxie einen unvergesslichen Ausblick, mit
einem kleinen Feldstecher sind sogar Kugelsternhaufen erkennbar, exotisch weist
das Kreuz des Südens. Es war übrigens bis etwa zum 16./17. Jh. auch in
südlichen europäischen Breiten sichtbar, verschwand dann aber durch die Präzession der Erde
(ein 25.868jähriger Zyklus) unter der Horizont. Wieder wird die Nacht kühl, der Boden
bleibt hart und die Toilette muss sich jeder auf der weitläufigen Sandbank selbst suchen. Aber bitte mit
Abstand zu den Reisfeldern, Kopfdüngung ist hier nicht gerne gesehen!
Kurz nach Vollmond traut sich auch mitten in der Nacht wieder eines der Motorboote
durch das Labyrinth der Sandbänke stromaufwärts. Lange vor und lange nach
seinem Passieren hören wir noch den tuckernden Lärm des Dieselmotors, dessen
Antriebspropeller mit
einem einfachen Keilriemen verbunden ist. Wer dieses Geräusch zwei Tage
ertragen möchte, dem ist nun wirklich nicht zu helfen.
Eine ½ Stunde nach Aufbruch flachen die begleitenden Hügelketten zusehens ab, der nun nicht mehr eingezwängte Strom verbreitert sich auf gute 250 m. Eine große Sandbank teilt alsbald den Fluss in zwei Arme, bevor er, flankiert von letzten Sandsteinablagerungen, seine Schlucht verlässt und in eine vollkommen andere Landschaft, eine weite Schwemmlandebene mit Höhenzügen in der westlichen Ferne, übergeht. Bald darauf, eine Stunde nach dem morgendlichen Aufbruch, ist am linken Ufer das geostrategisch günstig gelegene Begidro (lt. Klaus Sperling, lt. Karte S. 541 Berevo) erreicht. Der Name bedeutet soviel wie "da wo es viele Lemuren gibt". Das war früher, heute sieht man "nur" noch 2-3000 höhere Primaten der Gattung Homo sapiens sapiens, die u.a. durch den Tabakanbau im Umland angelockt wurden. Ein kleiner Markt mit den Kleidern nach letztem modischem Schrei aus Frankreich - Hauptsache vor allem aber knallebunt - ein Videokino, Fischhändler, ein Metzger oder so was Ähnliches, ein paar kleine Geschäfte mit Obst, Gemüse, Feldfrüchten ... das war's dann aber auch schon.
Käpt'n
Georget erzählt uns derweilen bei der Weiterfahrt, dass er seit seinem 14.
Lebensjahr als Pirogier arbeitet. Nun ist er 55 und hat, nach einer
Überschlagsrechnung, den Fluss wohl an die 1000mal befahren. Für Roadhouse arbeitet er
bereits seit 1997, sicherlich für beide Seiten ein Glücksgriff. Während er in
den Anfängen nur als Bootsführer tätig war, hat er bald Klaus Sperling
überzeugen können, auch andere Aufgaben zu übernehmen.
So ist er nun der Chef der gesamten Truppe, die er in alleiniger Verantwortung
zusammenstellt und zeichnet als Maître de Cuisine verantwortlich. Auf diese
Weise hat man gleichzeitig einen zu bezahlenden Arbeiter und v.a. dessen
Gewicht eingespart. In beiden Fachbereichen ist Georget zweifelsfrei ein Meister
der Improvisation und des Könnens.
Der Pirogier unseres Versorgungsbootes trägt am rechten Oberarm eine
schwarze Binde, unter der sich Kügelchen aus Asche der Ahnen und Holzkohle
befindet. Dem Armen wurde zuvor eine Armverletzung zugefügt und dieses A(r)mulet
sichert ihm Schutz und auch eine gewisse Macht für künftige Unpässlichkeiten zu.
Zwar Christ, so sagt er, kann es zumindest nicht schaden. Doppelt gemoppelt
hält besser, würde der Westfale sagen.
Im erweiterten Fluss haben sich Dutzende von
Schilfinseln gebildet, eine Oase für Wasservögel, auffällig darunter immer
wieder stolz wirkende Großreiher. Darunter finden sich in erster Linie Graureiher
(Ardea cinerea, Grey Heron, 90-100 cm), der Dimorphic Egret (Egretta dimorphia, 55-65 cm)
und, erheblich seltener, Great White Egret (Casmerodius albus ---> in
der dtsch. Wiki erfolgt unter der wiss. Bezeichnung ohne Erklärung eine
Weiterleitung zu dem Silberreiher Ardea alba, 92 cm). Ein wenig unsicher
in der Bestimmung:
aber mit großer Wahrscheinlichkeit kreisten weit über uns auch zwei Madagassische
Fischadler (Haliaeetus vociferoides, Madagascar Fish Eagle,
70-80 cm). Gekennzeichnet sind sie durch einen weißen Kopf
und eine weiße Schwanzunterseite. In der Regel halten sie sich an der Meeresküste auf,
werden aber auch bis zu 100 km im Landesinneren angetroffen.
Zwischenzeitlich hat sich unser Fluss wieder auf eine Breite von weniger als 100 m
verengt, am rechten Steilufer wird die Besiedlung immer dichter. Durch die hohen Uferböschungen
bleibt unser Blick längere Zeit beschränkt auf das Leben im und direkt am
Strom. Aber schon bald erhebt sich im Westen wieder eine zu uns quer von Nord nach Süd verlaufende
Hügelkette. Der Fluss beugt sich abermals dem Widerstand
gebietenden Hindernis mit einer scharfen Südwendung. Die Vegetation
präsentiert sich etwas üppiger, wenngleich der semiaride Wald
immer noch einen kärglichen Eindruck hinterlässt. Gleichzeitig tauchen
vermehrt Rodungsflächen auf.
Die Sonne scheint von einem fast wolkenlosen, azurblauen Himmel, den
weiterhin nur die vielen Rauchsäulen trüben. Freundlich winkende Frauen
waschen unterhalb des sandigen Steilufers, Kinder sitzen spielend daneben.
Vor einer erneuten Passage durch eine Hügellandschaft passieren wir linker Hand
einen Anleger, von unseren Begleitern als Hafen bezeichnet. Dahinter befindet sich
ein komplett deplaziert wirkendes Gebäude. Aus Stein errichtet kennzeichnet es sich wohl als die hochöffiziöse Administration der Hafenbehörde. Zugleich
werden wir Augenzeuge des ersten Motorrades seit unserer Abfahrt. Alles in allem
macht sich der störende Eindruck breit, dass wir uns offensichtlich wieder der
"Zivilisation" nähern.
Auf der anschließenden Sandbank befindet sich
eine kleine, augenscheinlich erst kürzlich errichtete einfache Restauration mit
überdachten Sitzplätzen für die Durchreisenden.
Schließlich werden wir auf Arufi-Bäume beidseits des Ufers aufmerksam
gemacht, aus denen ebenfalls bevorzugt Pirogen gebaut werden. Es wird auch
schnell klar warum: ein kerzengerader Baum mit genau den richtigen Abmaßen,
zudem soll es sich um ein sehr widerstandsfähiges Holz
handeln. Es folgen einige größere Baobabs und bevor wir sie richtig bewundern
können, empfiehlt uns der Käptn Ellenbogen, Hände und Füße von der
Bootskante zu nehmen und schon gar nicht im Wasser hängen zu lassen: Krokodilalarm
Wieder hat sich der Tsiribihina durch Sandgestein geschliffen, wobei diese
Ablagerungen nicht so auffällig geschichtet sind, wie tags zuvor. Vielleicht
hatten sie eine längere Sedimentierungszeit zur Verfügung und sind somit so
feiner geschichtet, dass man die Abfolgen aus der Entfernung nicht erkennen kann.
Es ist gegen 15 Uhr und die größte Tageshitze lässt allmählich nach, dafür
steht die Sonne nun näher am Horizont und macht das Platzieren des Regenschirms
ungünstiger: Man sieht nicht mehr soviel. Aber immer noch soviel, dass wir
unser erstes, gut 2 m langes Krokodil (Crocodilus milotecus) am Flussufer erkennen
können. Das wechselwarme Reptil nutzt die letzte Wärmestrahlung, um sich auf maximale
Betriebstemperatur und damit Schnelligkeit zu bringen, um eine letzte Mahlzeit
vor dem Abend erwischen zu können. Da beruhigt es nicht gerade, dass ein erst
vor wenigen Jahren neu entdecktes, 70 Millionen Jahre altes madagassisches Krokodil sich weitestgehend von Pflanzen
ernährte. Dieser Vertreter hat wohl keine näheren verwandtschaftlichen
Verhältnisse zu seinem vegetarischen Kollegen. Aber wir sind schon längst mit der Strömung
vorbei getrieben, auch gehören wir offiziell nicht auf seinem Menüplan, alles andere sind
bedauerliche Unfälle. Als dann allerdings noch weitere, deutlich größere
Exemplare auftauchen, werden doch noch einige Bedenken laut. Aber, so der
Bootsführer, wäre die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs sehr gering. Jedoch
sei der letzte Vorfall, seitdem ein zweijähriges Mädchen vermisst wird, erst gut ein Jahr her.
Aber man wisse ziemlich genau das Verbreitungsgebiet: nämlich hier bei der
großen 180°-Flussschleife unter dem hohen Felsabbruch, in dem sich auch eine
Kolonie Kuhreiher zur Abendruhe eingefunden hat, und könne sich entsprechend darauf
einstellen. Er würde uns schon noch Bescheid geben, wann wir uns wieder an der
Bordwand abstützen könnten. Sehr beruhigende Worte.
Die 180°-Schleife haben wir hinter uns, der vor etwa 1½ Stunden passierte Anleger mag aber höchstens 1 km Luftlinie entfernt sein. Auch hier befindet sich wieder ein neu angelegter Rastplatz für Touristen mit einer größeren Schilfhütte - eventuell ein Restaurant, das einfache Gerichte anbietet - und schattigen Sitzmöglichkeiten. Vielleicht übernachten dort einige der Gruppen, von einer Tagesleistung her könnte es reichen. Aber unser Käptn will noch weiter. In der nächsten 90°-Kurve hat sich wieder eine Kolonie von Kuhreihern in einer hohen Felswand eingefunden, der Sonnenuntergang steht kurz bevor. Sie gelangen allerdings nie auf eine Speisekarte, da sie zu wenig Fleisch aufweisen, das angeblich auch keinen verwöhnten Gourmet besonders begeistern könne. Aber bei den Einheimischen landen sie durchaus im Kochtopf. Mit der Dämmerung fliegt auch ein Schwarm von großen, grau-braunen bis schwarzen Papageien (Caracopsis vasa, Greater Parrot, 50 cm) ein. Es soll ebenfalls kleine Fledermäuse geben, die wir aber heute nicht auffinden können. Vor nicht allzu langer Zeit gab es auch Kolonien von Flughunden, so wie vor nur knapp 5 Jahren noch auf der vorgelagerten Insel Nosy Sakatia, nordwestlich vor Nosy Be. Aber diese sind wohl allesamt der Jagdlust zum Opfer gefallen.
Gute 9½ Stunden waren wir heute unterwegs. Die Sonne ist schon vor geraumer Zeit
untergegangen, gut dass wir uns inzwischen ein wenig an die Prozedur des
Lageraufbaus gewöhnt haben. Zu unserer Überraschung findet sich bald nach dem
abendlichen Aperitif am rasch entzündeten Lagerfeuer eine Familie aus
einer nahe gelegenen Hütte ein und stellt nicht nur einen mitgebrachen
Radiorekorder auf, sondern vergnügt sich und uns auch mit einer Darbietung, bei der
besonders die Kleinsten mit Freude mitmachen. Dieser traditionelle Tanz wurde über mehrere Jahrzehnte
nicht mehr praktiziert, erst in den letzten Jahren aus eigenem Antrieb wiederbelebt und erfreut sich unter der Bevölkerung allgemeiner Beliebtheit.
Dargestellt werden Viehdiebe, die bei ihrem - nach madagassischer Ansicht -
heroischen Diebstahl geschickt ihre Spuren im Sand verwischen.
So lautlos wie sie gekommen sind, entschwinden unsere Gäste - oder waren wir
ihre? - wieder in der Dunkelheit, dankbar versorgt mit einigen kleinen
Geschenken aus der "Zivilisation".
Direkt nach Aufbruch liefern gut drei Dutzend Schwarzmilane zur
Tageseinstimmung eine akrobatische
Show an den Sandsteinklippen in der ersten Thermik des Tages. Die Aufschlüsse
lassen wir rasch hinter uns, der Strom erweitert sich dadurch auf knapp 150 m
und
Käptn Georget gibt Entwarnung: Hier in diesem Gebiet habe er noch nie Krokodile
gesehen, vermutlich hätten seine Landsleute alle weggefuttert, wir könnten
ruhig wieder unsere Füße im Wasser kühlen. 10 Minuten später entdecken wir
ein kleines Krokodil beim Sonnenbaden auf einer Uferbank. Der Käptn bleibt den
restlichen Tag Ziel des Gespötts aller.
Fast schon langweilig taucht im Westen abermals eine, allerdings niedrig
verlaufende Hügelbarriere auf, an der der Fluss nach einer Stunde Kanufahrt Richtung
Norden schwenkt. Verstärkter landwirtschaftlicher Anbau deutet
unmissverständlich auf das nahende Ende unserer Reise. Zu den Pflanzen gehört
auch Rhizinus (Ricinus communis, Engl. Castorbean / C.oil / oil
nut, ), erkennbar an den dicken, roten Stengeln und papayaähnlichen
Blättern. Aus den Früchten wird ein Öl zur Massage hergestellt, zudem eine Arznei gegen Halsschmerzen. Wir ulken
herum, warum sie wohl gegen Halsschmerzen helfen würden ...
Entgegen stakende Pirogiers werden von den unsrigen
herzlich begrüßt, ohne anzuhalten Neuigkeiten ausgetauscht, so von der vor
vier Nächten stattgefundenen "Beerdigungs-Disco", die diese - wie
man deutlich erkennen kann bedauerlicherweise - verpasst haben. Man ist
untereinander befreundet, zumindest mit den meisten. Auch wenn keine
offizielle Kooperative existiert, kommt es kaum zu einem Konkurrenzkampf um den
Touristen- oder Warentransport. Dumpingpreise sind dadurch weitgehend
ausgeschlossen, jeder hat Verständnis dafür, wenn der ein oder andere Geld
verdienen muss und schon einmal den Preis geringfügig absenkt. Jedem ist klar,
dass dann auch die Leistungen, insbesondere gegenüber den Vazahas, geringer
ausfallen werden. Ausgleichende Gerechtigkeit, die nichts mit Betrug zu tun hat,
sondern reines Geschäftsgebahren darstellt.
Käptn Georget hält nochmals kurz an, er hat eine neue Stakstange
bestellt. 1000 Ar muss er dieses Mal dafür berappen, die alte bekommt wieder
der Sohn.
Nach gut 3 Stunden lassen wir einen Hügelkamm hinter uns, der zu einem guten Teil mit
Affenbrotbäumen (Baobabs) bestanden ist. Er wird auch als "Mutter/Vater
des Waldes" bezeichnet, im hiesigen Dialekt Vesu. Eine halbe Stunde später
passieren wir überraschend einige Lontanpalmen. In Singaraja auf Bali
/ Indonesien gibt es
übrigens eine historische
Bibliothek, in der über 5000 uralte Schriften auf deren Blätter aufbewahrt
werden.
Angeblich sollen für jeden Menschen der Welt, der seinen Namen und sein
Geburtsdatum nennt, die Art und Weise seines Todes genannt werden können ...
Wir gelangen erneut in eine Ebene. Der Fluss nutzt die Gelegenheit aus und wird nach und nach zwischen
3-500 m
breit, je nach Platzangebot. Es taucht ein erstes, motorisiertes Personenboot
auf, das zu unserer Überraschung nicht einmal voll ist. Dabei ist heute Samstag
- oder gerade deswegen?
Sieben
Stunden nach heutiger Abfahrt passieren wir eine kleine Stromschnelle auf
der linken Seite. Eine kurzfristige Abwechslung in der immer eintöniger
werdenden Fahrt, die nicht einmal mehr die
langweiligen Hügelzüge aufweist, die nur noch im fernen Südwesten schemenhaft
zu erkennen sind. Soweit sichtbar, befindet sich hinter der Uferböschung eine lockere Busch-
und Strauchvegetation mit eingesprengselten größeren Bäumen. Von nun an finden sich fast durchgehend beidseitig landwirtschaftliche Anbauflächen.
Ein
Kanu kreuzt unseren Weg und es dauert einige Zeit, bis wir seine angebundene
Ladung erkennen: Hier werden Reissetzlinge von einem Ufer zu den Pflanzfeldern
auf der anderen Seite transportiert.
Eine Taube (Columba livia, Feral Pigeon, 33 cm) lenkt für kurze Zeit
unsere Aufmerksamkeit ab. Sie sieht auf den ersten Blick aus wie eine normale deutsche
Taube, auf den zweiten ist sie allerdings erheblich bunter.
Ahoi! [Ergänzender Text folgt.]
Nach 8½ Stunden, es ist nicht mehr lang bis zum Sonnenuntergang, erreichen wir die Fährstation am südlichen
Ufer des Tsiribihinas. Hier endet die von Morondava kommende Piste für fast
jegliches Fuhrwerk, von einigen Mopeds abgesehen. Für größere Fahrzeuge
müssen besondere Konstruktionen aus mehreren Booten gebaut werden, was
entsprechend Zeit und Geld kostet. Und das können sich nur wenige leisten. Die
motorbetriebenen Personenfähren benötigen bis Belo sur Tsiribihina
knappe 30 min, unsere Einbäume noch fast 1½ Stunden, es herrscht ein scharfer
Gegenwind mit entsprechenden Wellen. So gleiten wir nur wenig
Zentimeter vom Ufer entfernt im Windschatten langsam unserem Ziel entgegen,
einige werden es nur etwas nasser erreichen. An der dortigen Fährstation, eine
Ansammlung von einem Dutzend Schilfhütten als Versorgungs- und Schlafstation
für die Pirogiers, erwartet uns ein Cebu-Gespann,
das unser Gepäck und mich, gehbehinderten Invaliden, auflädt und den letzten Kilometer Schlammpiste durch
zwei niedrige Fuhrten bis zur Hauptstraße bringt.
Unser erster Asphalt, elektrisches Licht und sogar richtige Autos seit vier
Tagen! Erstaunlich, dass ein so kurzer Aufenthalt in einer weitgehend
technikfreien Welt selbst bei uns noch kindliches Staunen hervorrufen kann.
Viel wichtiger als alles andere aber sind die unerwartet guten Matratzen, und, wir glauben es kaum, es gibt sogar heißes Wasser und ein
richtiges Klo. Klar, dass vor der Zimmerinspektion aber zunächst einmal ein kaltes
Bier Abendprogrammpunkt Nr. 1 ist, bevor wir uns von unserem freundlichen und
hart arbeitenden Team verabschieden. Morgen früh bei Sonnenaufgang machen sie
sich wieder auf den Rückweg und wollen die Nacht lieber neben ihren Pirogen auf
dem Sand unter Planen, statt in einem weichen Bett verbringen. Aber so richtig
trauen sie auch ihren eigenen Landsleuten nicht.
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Niks Reiseberichte
Fasten seatbelt ... und dann niks wie weg!