© "Nik" Klaus Polak
seit 2/2003 als freier Reisejournalist auf Weltreise
www.nikswieweg.com
Beachten Sie den Copyright-Hinweis. Bei Abdruck bitte Kontaktaufnahme: .
© "Nik"Klaus Polak,
Bonn, Germany
Von Manila ist es nur ein Katzensprung zum Kansai-Airport von Osaka. Auf dem Flug bekomme ich leider nix mit, alles ist unter dichten Wolken und darunter befindet sich sowieso nur Wasser, außerdem wird es bald dunkel. Das Flugzeug ist halbleer und ich mache es mir bequem. An Bord haben wir auch einen Spatz, der sich anscheinend als fauler oder verhinderter Zugvogel versucht und Passagiere wie Stewardessen amüsiert. Es wäre interessant zu sehen, ob er japanisch lernt oder denen philippinisch beibringen wird.
Dieser Absatz wurde geschrieben, als ich den gesamten Kyoto-Bericht geschrieben hatte. Ich habe ihn hier eingefügt, weil ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, ein kleines, wenn auch unbedeutendes Pendant zu Rosendorfer's "Briefe in die chinesische Vergangenheit" (Eine äußerst amüsante Darstellung der westlichen Welt, geschrieben von einem hypothetischen Chinesen, der aus der Vergangenheit kommt. Ich empfehle es hiermit wärmstens.) verfasst zu haben. Zugegeben. Es ist schon ein Zumutung, Kyoto und damit einen winzigen Teil Japans in nur 66 Stunden zu erleben und auch noch den Mut zu haben, darüber zu schreiben. Im Unterschied zu anderen Touristen, deren Nationalität ich nicht nennen möchte, habe ich allerdings keinen Fotoapparat dabei, reise nicht in einer Gruppe, vor mir rennt kein Reiseleiter her, nicht einmal ein Reisehandbuch besitze ich und fahre in der Zeit auch nicht mit einem Bus in 6 verschiedene Städte.
Zum ersten Mal in meinem Leben bekomme ich als Erster
mein Gepäck vom Band.
Sayonara,
ZOLL---KONTLOLLÄ.
Habt ihr schon mal meinen Rucksack gesehen? Absolut
gelegenheitsdiebstahlsicher. Ein Stahlnetz
drum herum mit Schloss, eine Stahlseil zum Anketten mit Schloss, die Reißverschlüsse
mit Schloss und darin meine zwei Travel
safes mit Schlössern. Ich werfe dem Zöllner einen fragend-verzweifelten Blick zu und
der hofiert mich schlitzäugig-lächelnd aber betont in einen Extraraum. ALLES auspacken!
Vorher werde ich noch nach verschiedensten Rauschgiften und Waffen gefragt.
Man, müssen die
Philippinen mich verändert haben. Ich reiche ihm den Schlüssel, auspacken soll
er selber. Aber es ist nicht so einfach das Stahlnetz abzustreifen und so muss
ich auch noch helfen. Meine Güte, der macht seine Drohung wahr und packt
wirkliche ALLES aus. Ganz besonders haben es ihm
meine Travel safes angetan und das Laptop soll ich auch noch auseinander nehmen.
Eine halbe Stunde Zeitverlust. Immerhin müht er sich um die Wiederherstellung
des Originalzustandes, ist aber
keine große Hilfe, offensichtlich hat er noch nie einen Rucksack gepackt. Ich
trage mein Päckchen mit Würde und knurre innerlich. Als einer der letzten
passiere ich die Ausgangstür.
Als ich die "günstigen" Übernachtungspreise in Osaka (incl. Jugendherberge) an der Flughafeninformation akustisch und optisch entgegen nehme und neuronal verarbeitet habe (100 ¥ ~ 1 €), entschließe ich mich trotz vorgerückter Stunde Davids Rat aus Romblon / Philippinen direkt zu folgen und nehme für 1150 ¥ den Expresszug nach Kyoto, der mich um 23 Uhr nach 1 Stunde und 10 Minuten dort entlässt. Den Service im Flughafen sollte man auch mal bei uns einführen, ich konnte das Zugticket direkt an dem Touristeninformationsschalter erwerben.
Ich denke, ein Bier ist das Beste und gleichzeitig kann ich mich nach einer
preiswerten Unterkunft erkundigen. Aber, oh Schreck, die ersten jüngeren
Japaner, die ich anspreche, können kaum Englisch und machen mir deutlich, dass
wohl alles geschlossen sei. Hoppla, wird hier kein Englisch in der Schule gelernt? Und
Kneipen um 23 Uhr dicht? Das kann ja heiter werden. Schließlich finde ich doch
noch eine und hier gibt es sogar Gezapftes, was auch ganz gut schmeckt. Ich
lerne die ersten Wörter: Aligato = danke, campai = Prost - sie werden auch
meine einzigen bleiben. Tja, billige Unterkünfte gäbe es in der Stadt wohl
nicht, aber man rät mir mal die Taxifahrer fragen, die wüssten sicherlich
was. Gesagt, getan.
Alles steht in Reih und Glied, nur gibt es hier keine Taxifahrer, sondern Chauffeure
und die sehen so aus, als ob sie die Privatfahrer der Queen von England sind
Überall werden die Karossen gewienert und gestriegelt. Erneut oh je, der erste
spricht kein Englisch, der zweite auch nicht und beim 23. habe ich es dann
verstanden: alle sprechen kein Englisch. Also zurück zum Bahnhof, dort steht
eine ganze Armada, irgend jemand wird doch wohl ... . Ich fasse mir ein Herz und
spreche eine kleine Gruppe von Kutschern in ganz, ganz einfachem Pidgin-Englisch
an. Vielleicht hat die soeben beendete Weltklimakonferenz ja doch Rudimente hinterlassen. Aha, man versteht
mein Anliegen und holt einen international beschlageneren Kollegen
heran. Und der gibt mir endlich eine Adresse, und in der Nähe ist es auch noch.
Artig bedanke ich mich und trage meine 26 kg an die angegebene Adresse.
Eigentlich ist es keine, ich habe nur einige komische Malereien in der Hand und
vergleiche sie mit denen auf den Schildern. Super, das erste Zeichen stimmt,
Mist, das zweite nicht. Aber da, alle drei stimmen überein, gerettet. Es soll
Miyuki heißen und an der Tür steht auch, dass eine Übernachtung nur 2500 ¥
kostet. Also Japan ist doch preiswerter, als man mir gesagt hat. Aber die Tür
ist zu, eine Klingel gibt es nicht, alles ist duster und klopfen hilft auch
nicht. Auch nicht wenn man es noch achtmal ganz laut versucht. Außerdem sieht das Ganze mehr
wie eine Werkstatt aus.
Wenige Meter vorher habe ich eine Pizzeria gesehen. Mal dort gucken.
Inzwischen ist es Mitternacht und ich bestelle mir ein Bier. Vielleicht sollte
ich mich hier besaufen, dann komme ich wenigstens in eine kostenlose
Ausnüchterungszelle, kommt mir in den Sinn, denn keiner versteht
mich. Als rettender Engel erscheint Hideki Azumi, 23 Jahre jung, und er kann
Englisch. Gut, zugegeben, nicht viel, aber besser als gar nichts, wie sein
Kumpel. Ein heiteres
Ratespiel entspannt sich, aber dann habe ich wieder eine Hoteladresse. "White House"
soll das heißen. Aha, sieht eher aus wie die Zeichnung eines psychiatrischen
Junkies auf Entzug. Mit dem Zettel in der Hand wandere ich durch den Gang. Und da steht
es: "White House" und sogar auf Englisch. Und die Besitzerin kann es
auch, hat aber keine Zimmer frei. Immerhin, ich werde weiter verwiesen, in der
nächsten Straße soll es etliche Zimmer geben. Zu, zu
teuer, wieder zu, voll. Und dann werde ich doch noch fündig. Inklusive Tax 6600
¥, zahlen soll ich auch gleich. Japan ist also doch teuer und bleiben kann ich
auch nur eine Nacht weil für morgen reserviert ist, d.h. um 10 Uhr muss ich raus. Auch dass es dann nur eine
halbe Nacht ist zieht nicht, der Preis bleibt der gleiche. Und ich soll jetzt ins Bett
gehen. Ich protestiere, ich habe Hunger. Aber es wäre doch schon alles zu, nee,
kontere ich ortskundig und überzeugend, ich kenn' da noch 'ne Pizzeria, die hat noch auf. Wir handeln und ich darf bis
1.30 Uhr rausgehen. Aber bitte, nicht länger.
Das Zimmer ist so, wie es mir in japanischen TV-Filmen immer gezeigt wurde. Papierwände,
Schiebetür aus Papier, ich frage mich, wieso die ein Schloss hat, Möbel gibt es nicht,
sieht man einmal von einem Pygmäentisch ab. Das Bett besteht aus zwei dicken
Matten, darüber ist eine Decke und das Kopfkissen scheint irgendwas kornartiges
zu enthalten, aber mein Messer ist tief im Rucksack verstaut. Im Klo gibt es
eine sinnreiche Konstruktion. Auf dem Wasserkasten ist ein Spülbecken
und erst dann läuft das Wasser in den Speicher. Tja, erstens platzsparend und
zweitens eine gute Recyclingidee. Im TV läuft kein
einziger ausländischer Sender. Schließlich habe ich genug gesehen, verstehe eh
nix und muss ja
morgen auch früh raus. Ich bin in Japan angekommen.
Mein "billiges" Hotel Miyuki, das gestern nicht aufmachen wollte, hat nun
offene Türen. Aber, es ist voll.
Mist, nix mit Geld sparen. Auch im White House gibt es noch immer keine freien Zimmer und man verweist mich an den
Bahnhof, dort gibt es eine Information und hier spricht man Englisch. Gut sogar.
Und Zimmer werden auch vermittelt, direkt telefonisch reserviert und alles sogar
"relativ" preiswert - ich passe mich schnell an. Es sind übrig
gebliebenen Zimmer, die von
den Hotels morgens als "Sonderangebot" verramscht werden, aber man kann auch immer nur eine Nacht bleiben.
Scheint so was wie Russisch Roulett zu sein, oder sollte ich sagen Japanisches
Roulett? Ich bekomme eine Adresse, am nächsten Tag soll ich aber ganz
früh kommen, um nochmals ein Zimmer zu erwischen.
Das heutige Zimmer erweist sich als wahre Luxusunterkunft und kostet weniger als die
letzte Nacht. TV, Radio, einen richtigen Stuhl, Tisch, Couch und ein richtiges
Bett. Dusche, WC im Zimmer, geräumig, westliche Einrichtung und
bezahlen brauche ich auch erst morgen. 1)
Aber ich will ja die Stadt sehen. Also fange ich an - ohne Reisehandbuch nur mit einem
primitiven Stadtplan der Touristeninformation - mich zu orientieren. Es sind darin Wegstrecken empfohlen, die an
Sehenswürdigkeiten vorbeiführen. Kyoto hat davon viele. Wie ich erfahre ist
die Stadt im zweiten Weltkrieg von den Amis (sind doch liebenswürdige Burschen, diese
GI's) auf Grund der historisch bedeutsamen Gebäude (sic!) verschont worden. Man dankt ihnen heute noch dafür.
Kyoto ist heutzutage DAS historisch-kulturelle Zentrum Japans, weswegen auch
Busladungen mit Schulkindern und Erwachsenen, insbesondere am Wochenende - und
das haben wir natürlich jetzt - einfallen. Die Schulklassen
fahren zu den Tempeln mit Taxis und wohnen übrigens in Hotels, Mama und Papa bezahlen das
schon. Deswegen bekomme ich
also kaum ein Zimmer!
Ich bin zu Fuß unterwegs und werde es am Abend bereuen. Unterwegs sehe ich
krawattentragende Geschäftsleute im schwarzen Anzug, mit einem sportlichem Tagesrucksack
auf dem Rücken und dem Fahrrad unterwegs. Es gibt Geschäfte, die mich nur
erahnen lassen, was dort verkauft wird. Manchmal sieht es essbar aus, manchmal
wie Dekoration. Ich kann mich nicht durchringen es zu riskieren, nachher
esse ich womöglich Plastik.
Mein erster Tempel heißt Nishi-Honganji - was mich an den tollen Film
Jumanji erinnert - wird natürlich genau zum jetzigen Zeitpunkt vollständig
renoviert, ist unter einer riesigen Dachkonstruktion versteckt und nicht
zugänglich. Ich irre außerhalb ein wenig herum, er ist mit einer hohen Mauer
umgeben, die Sonne brennt heiß herunter und es gibt sonst nix zu sehen.
Die kleinen
Straßen und Gässchen, die ich kurz darauf finde, entschädigen. Es stehen überall winzige Häuschen dicht
gedrängt, vielfach mit Topfblümchen und -bäumchen dekoriert. Kein Wunder,
dass die Japaner so klein sind, sie müssen sich wohl koevolutionär den
Häusern angepasst haben. Auf dem weiteren Weg passiere ich den Shosei-en
(Kikoku-tei) Garten, natürlich im japanischen Stil. Der Eintritt ist
kostenlos, der freundliche Wärter achtet genau darauf, wie viel ich als Spende
einwerfe, ich zahle vermutlich mehr als wenn es Eintritt gekostet hätte.
Kikoku-tei heißt versteckter Orangenhain, weil hier Orangenbäume gepflanzt
wurden. Die Namensgebung ist originell. Originär wurde der Garten auf dem Heian
era Platz von dem Rokujo Kawahara-in Palais des Prinzen
Minamoto Noto-ru, dem Sohn des Eroberers Saga im späten 9. Jahrhundert erricht.
AHA. Der Garten ist schön, das Wetter auch.
Als
nächstes ist der Tempel Higashi Honganji (Shinshu Otani-ha) (ha, jetzt
habe euch aber imprägniert, was?) an der Reihe. Die größte Holzkonstruktion der Welt
steht dran. Und: "Please take of your shoes here and carry them with you in a
plastic bag (to avoid confusion)". Letzteres will ich mir nicht entgehen lassen und
lasse meine Schuhe draußen.
Es ist angenehm über die geflochtenen Matten barfuss zu laufen. Neben den
Schreinen gibt es noch armdicke Taue zu bewundern, die aus Menschenhaar
hergestellt wurden! Die gesamte Anlage - ist ja aus Holz - ist inzwischen viermal
abgebrannt und 1895 originalgetreu wieder aufgebaut worden. Ich
unterdrücke den Wunsch eine Zigarette zu rauchen, vermutlich würde man mich
lynchen, passende Taue gibt es ja schon.
Ein Japaner hat zurück geschlagen. Als ich wieder draußen bin, suche ich
minutenlang meine zweite Sandale. Irgendein Witzbold hat sie weit ab versteckt.
Wenn ich den erwische!
Mein Weg führt mich nach etlichen Kilometern, die hauptsächlich durch
Wohngebiete führen, weiter zu den sehenswerten überdachten Markthallen der
Teramachi Shopping Arcaden.
Am Ufer des
Kamo, der die Stadt quert, finde ich einige gemütliche Restaurants, die Holzkonstruktionen nach
hinten hinausgebaut haben, so dass man auf einer erhöhten Terrasse sitzt. Dies
ist ein Platz mit schönem Ausblick auf die gegenüberliegende "Skyline",
den Fluss und die flanierenden Japanern - obwohl ich für letztere die erhöhte
Terrasse nicht gebraucht hätte. Gut für eine Erfrischung. 500 ¥
kostet das Bier, 1000 muss ich anschließend noch für den Pygmäentisch drauflegen.
Langsam wird es dunkel und ich will in eine Bar oder so was, mit guter Musik,
gemütlich - ich finde nichts. Alles ist mit angeschlossenem Restaurant und die
Lehre mit dem Tischgeld habe ich nicht vergessen. Die zwei edlen Kneipen sind schon
überfüllt und so irre ich durch die Gassen der Altstadt. Nach einiger Zeit und
etlichen Metern das Wunder. Ein echter irischer Pub. Das ist was für Vaters
Junge und ich beschließe hier den restlichen Abend zu verbringen. Meine Füße
danken es mir.
Neben mir sitzt ein Gruppe - ich beschließe sie in die Kategorie "junge
Studenten" einzuordnen - und teilt sich eine Flasche Schnaps. Das war wohl nicht
die erste, sie sind in ausgelassener Stimmung, vielleicht eine Chance ins
Gespräch zu kommen. Verlegen guckt einer den anderen an, dann traut sich der
Mutigste
und spricht so was wie Englisch. Jauh, das hier ist die einzige Kneipe weit und breit, mit
Musik und ohne Essen. So was gibt es sonst in Kyoto nicht, allerhöchstens
Karaoke, warum weiß er auch nicht.
Von Karaoke habe ich seit Tablas /
Philippinen die Nase voll. Morgen Abend spielen die Burschen in der Uni - hab ich es
doch geahnt - auf einem Jazzfestival. Heh, Musiker. Aber mit meinen Oldie-Favoriten
können sie nicht viel anfangen. Selbst Pink Floyd scheint unbekannt, aber nach
meinen Erlebnissen in Frankreich
bezüglich der Intonation von englischen Wörtern (ich erinnere nur an Jo Kokär,
mit Betonung auf ä!) versuche ich alle mir momentan zugänglichen Variationen. Es hilft
nix, es bleibt dabei, haben sie noch nie gehört. Aber da war doch was. Richtig, vor 30 Jahren
gab es doch diesen Hit "Suki yaki". 5)
Ich bringe also meine gesamten
japanischen Musikkenntnisse mit zwei Worten - oder ist es nur eins? - zum
Ausdruck. Die Mienen erhellen sich, der Opa hat es wohl gehört. Mich erinnert
das Musikstück nur an japanisches Futter (was ich beim Chinesen immer sehr
liebe) und bin ganz erstaunt, dass es sich um
eine Liebesgeschichte handelt. Wough. Was esse ich da bloß?
Das Gespräch tröpfelt anschließend so dahin, vieles
bedarf der mehrfachen Rückversicherung und bis auf den einen Mutigen halten
sich die anderen höchstens an das Motto ihm mal ein paar Vokabeln
unterstützend zu zuwerfen. Na ja, es wird langweilig und so quäle ich meine Socken nochmals
Richtung Pizzeria der letzten Nacht. Für den Abend habe ich mich mit den beiden
Japanern Yurom und Hideki, von gestern verabredet. Gleicher Ort, gleiche Zeit und sie sind auch
schon da. An die japanisch-englische Aussprache habe ich mich inzwischen gewöhnt. Müde sind sie
und wir verabreden uns daher für den nächsten Abend zu etwas früherer
Zeit.
In meinem Hotel wartet eine kleine Aufmerksamkeit. Einer meiner japanischen
Bekanntschaften arbeitet in einer Räucherstäbchenfabrik und hat mir neben einem Brief eine Kostprobe seiner
Firma in einem hübschen Schächtelchen hinterlassen. Sehr nett gemeint und
Aligato!
Ganz, ganz früh bin ich
am Bahnhof und als erster in der Geschäftsstelle der Touristeninformation. Ein Zimmer, ja, aber es ist "japanischer Stil".
Hört sich eigentlich an wie eine Drohung, aber prima, ich
bin ja auch in Japan, nehme ich. Ich werde telefonisch avisiert, verlasse die Information,
hinter mir sehe ich, wie ein Schild ausgehängt wird: Heute keine freien
Zimmer! Ich habe das einzige und letzte Zimmer der ganzen Stadt
bekommen. 2)
Japanischer Stil heißt zumindest, dass ich erst um 15 Uhr einchecken kann. Das hat man
mir an der Information nicht gesagt. Aber ich darf meinen Rucksack hier lassen und
7000 ¥ im Voraus zahlen. Japanischer Stil heißt offensichtlich auch misstrauisch.
Direkt vor dem Bahnhof gibt es einen hohen Funkturm, den man begehen kann. Das
reizt natürlich. Und ich habe seit einigen Tagen einen
Schwerbehindertenausweis, mit dem ich erheblich billiger nach oben gelange.
Sicherheitshalber humple ich noch ein bisschen. Bei
den hiesigen Preisen freue ich mich über jeden gesparten ¥. Zuerst stoße ich
auf einen japanischen Handleser, der mir kostenlos die Lebenslinie
erklärt. Das sieht aber gar nicht gut aus, meint er, um die 50
wäre Schluss. Als ich sage, dass ich demnächst 49 werde, merkt er, dass
mit mir kein Geschäft zu machen ist und trollt sich.
Ein
wunderbarer Blick über die Stadt, endlich habe ich eine gewisse Vorstellung wo
ich bin. In der Ferne, da wo ich nachher hin will, sehe ich eine riesige Buddhastatue
an einem Hügelhang. Die muss ich aus der Nähe sehen. Ein Fahrrad muss
auch her, mir tun noch von gestern die Füße weh. Für 1000 ¥
pro Tag bekomme ich eins, pro Tag heißt, ich muss es um 18 Uhr wieder
abliefern. Es ist etwas klein geraten oder ich zu groß, immer wieder ist meinen
hebelnden Knien die Lenkstange im Wege, aber besser als laufen.
Nun bin ich seit einem Tag hier und stelle plötzlich fest, dass hier
alle falsch herum fahren. Es herrscht doch tatsächlich Linksverkehr. Das
hätte ich von Japan gar nicht gedacht. War das mal englische Kolonie - nicht
das ich wüsste. Wieso eigentlich in einigen Ländern Links- in anderen
Rechtsverkehr?
Nun, dies geht auf die Tatsache zurück, dass die meisten Menschen Rechtshänder
sind. Als Rechtshänder
trug man sein Schwert links, damit man es schneller
ziehen konnte. Also ritt man auf Wegen auch links, um dem Entgegenkommenden auf der
rechten Seite frühzeitig genug zu signalisieren, dass man kampfbereit ist.
Pferdegespanne respektierten diese Mode, auch um Zusammenstöße mit Reitern zu
vermeiden. Als Automobile erfunden wurden, stand die Straßenseite erneut zur
Disposition. Einige Länder missachteten die Tradition, vielleicht auch weil
Rechtshänder sich gerne an die rechte Straßenseite anlehnen.
Linkshänder
fanden schnell heraus, dass es gesünder war sich anzupassen oder starben
aus.
Ich war allerdings in einigen Ländern, wo es einen großen Anteil von Ambivalenthändern zu geben scheint, insbesondere in Asien. Hier wird gefahren wo Platz
herrscht.
3)
Daran schließt sich auch die Frage an, warum gehen eigentlich alle Uhren im
"Uhrzeigersinn"?
Ich begebe mich über den Fluss, immer aufpassend rechts und links nicht zu
vertauschen, was für mich schon bei der Fahrprüfung und noch viel früher ein fast unüberwindliches
Hindernis darstellte und ich daher auch heute noch meine Berichte auf diese
Verwexlser explizit untersuchen muss.
Nett hier, vor allem die vielen Tempel und
Schreine.
Keine Ahnung wie viele Kyoto davon hat, aber es sind zig und ich stoße
natürlich wieder auf einen, aus dem ich wegen irgendeiner okkulten Handlung
wieder hinaus komplimentiert werde. Ich liebe es bergauf zu laufen, um dann mit leeren Händen
wieder abzuziehen.
Also weiter. Ging die Straße gerade noch leicht bergan, so muss ich nun
absteigen und schieben, so steil ist es. Und es wird immer steiler. (Noch war
ich nicht in San Francisco.) Aber
wenn ich schon so weit oben bin, dann kehre ich nicht mehr um. Basta! Wehe, das
Ding ist auch zu. Ist es nicht und wunderschön. Außerdem habe ich einen prima Blick über
Kyoto. Kiyomizu-dera nennt es sich und einige gelungene Fotos kann man auf
diesen Seiten
betrachten.
Irgendwo hier muss in der Nähe auch eine große Buddhastatue sein, die ich
heute morgen von dem Funkturm aus gesehen habe. Ich ahne die Richtung und mache
mich auf den Weg.
Die schmalen Straßen sind hauptsächlich mit japanischen Touristen überfüllt,
einige Rundaugen sind auch zu erblicken. Links und rechts herrscht reger
Devotionalienhandel, eng verquickt mit anderem Touristentinnef, Fast Food
Restaurants auf japanisch und ungewöhnlich viele Süßwarenläden. Dazwischen
gibt es immer mal wieder ein paar kleine Schreine, deren Bedeutung ich nicht erahne,
geschweige denn erkenne, im Prinzip ist mir das auch egal. Einer ist aber
besonders nett, es sieht so aus, als ob hier Wünsche von Kindern in
faustgroße Säckchen verpackt - mit einer Spitze herauslugend - um dann
aufgehängt zu werden. Aber vermutlich ist es was ganz anderes.
Mein Bergaufschieben macht sich nun bezahlt, ich nutze jetzt die aufgespeicherte potentielle
kinetische Energie und rattere die Straße hinunter.
Hier laufen doch tatsächlich einige Geishas herum. Und es sieht nicht so
aus, als hätten wir Karneval oder sie sich für die vielen Touristen so
verkleidet. Offensichtlich fühlen sie sich vollkommen normal und wohl damit. Wirklich
irritiert mich auch weniger die Kleidung, als das weiß gekelkte Gesicht.
Die Farbe reicht scharf begrenzt bis zum unteren Halsansatz und lässt sie wie
Marionetten erscheinen. Und so tapern sie auch durch die Gegend auf ihren
Holzlatschen, die einen gewissen Ursprung an Holland aufkommen lassen. Aber die
fahren auch nicht links, höchstens wenn sie bekifft sind.
Es geht vorbei an den schon bekannten geduckten Häuschen und dann habe ich auch den Buddha vor mir. Wie überall will man hier Eintritt, aber ich bin
ein Knauserer, Kulturbanause und Eintrittsgeldverweigerer. Außerdem, wieso
wollen diese - auf westliche Länder übertragen - "Kirchen" Geld? Sollen die
sich das von den Gläubige(r)n holen. 4)
In der Nähe wird gedreht. Nicht an der Schraube, sondern eine Filmszene. Soweit ich das
beurteilen kann, handelt es sich um eine Soap-opera. Schade, ich wäre gerne als
Statist - vielleicht so was wie "einfältiger €päischer Tourist, zu blöde um auf
japanisch antworten zu können" - aufgetreten. Aber keiner hat mich gefragt,
obwohl ich mich lange genug unauffällig anbiete.
Ein wenig weiter treffe ich auf eine riesige Tempel- und Schreinanlage im Maruyma-Park, die mich nun wirklich
beeindruckt, ebenso die endlos steile Treppe. Dies ist ausnahmsweise mal keine satirische Anmerkung, sondern
ernst gemeint. Es wird gerade eine religiöse Zeremonie abgehalten, ein
wenig an Hinduismus erinnernd. Vielleicht ist es das ja auch. Ich genieße
einige Zeit den eintönigen Singsang der Mönche und des Obergurus, der von einer
erstklassigen Verstärkeranlageübertragen wird. Vermutlich Sony. Und die
Lautsprecher eventuell Yamaha und das Mikrofon von Kawasaki.
Vor der Tempelanlage warten muskulöse junge Männer. Ich ordne mal wieder unter "Studenten, die sich ein paar ¥ verdienen wollen" ein. Die meisten tragen ungewöhnlich geformte "Gymnastikschuhe", mit einer Einkerbung zwischen dem zweiten und dritten Zeh (Tabi). Irgendwie fühle ich mich an Vogelfüße erinnert. Sie kutschieren im Laufschritt auf einer Rikscha Touristen durch die Gegend, und quasseln dabei auch noch. Die Rikschas sind übrigens erstaunlich perfekt ausbalanciert, so dass nur der Rollwiderstand überwunden werden muss. Vielleicht kann man deswegen noch quasseln.
Weiter geht es, vorbei an Tempeln, Pagoden, Mausoleen. Als nächstes steht der Heian
Jingu Schrein an. Die besondere Attraktion ist
hier akribisch geharkter Sand! Ommmmmmmmmmmm!
Umgeben ist er von einem botanischen Garten in japanischem Stil - und kostet
natürlich Eintritt. Viele Gewächse sind mit Namen
versehen, klar, nur auf Japanisch. Im
Teich schwimmen ein Menge Kois herum, sowie etliche gewöhnliche Karpfen.
Vermutlich sind sie es gewohnt gefüttert zu werden, denn kaum erscheine ich am
Ufer, sammeln sich Dutzende und betteln mich mit Glotzaugen an. Gut, dass sie
weder bellen noch miauen, aber die Klappe halten sie trotzdem nicht, vielleicht
haben sie es von einem Köter abgeguckt, Japaner sind ja Meister im Kopieren. So kann ich auch mal in aller
Ruhe das Innenleben des Maul eines großen Fisches studieren, denn den reißen sie
so
soweit auf, dass ich sogar durch die Kiemen sehe. Und mit dem Schwanz können
sie auch schon wedeln, sollten aber noch was üben. Ich hab noch was gewartet, keiner hat Männchen gemacht.
Und schon mal in der Nähe, mache ich auch noch eine Tour um den
Palast des Kaisers von Japan, der in einem großen Park liegt. Der heißt
natürlich Kyoto Imperial Park. Der Park ist uninteressant, der Kyoto Imperial Palast auch. Ich sehe nur meterhohe Mauern, die rechteckig ein riesiges Gelände
einschließen, vielleicht 4 km im Umfang, und kein Kaiser ist zu sehen. Da lobe
ich mir Beckenbauer.
Alles wirkt
absichtlich öde und langweilig. Also entschließe ich mich am Ufer des Kamo zurück
zu radeln und treffe durch Zufall meine Studenten von gestern Abend wieder. Auf
dem kleinen Uni-Gelände haben sich jede Menge Studentengruppen versammelt und stimmen
ihre Instrumente ein. Ich habe aber keinen Bock auf Jazz, zu dem ich sowieso ein
zwiespältiges Verhältnis habe, und fahre weiter.
Dabei gerate ich in ein verwinkeltes Stadtviertel, ich glaube so zwischen
Keihan-Sanjo und Keihan-Shijo Station, wo die Häuser aber wirklich
(!) klein und die Straßen eng sind.
Ich will nun nicht gerade sagen, dass ich von meinem Fahrrad über die Häuser
schauen konnte - dafür ist das Rad zu klein -, aber für den ersten Stock hat es schon gereicht. Alles wirkt wie aus dem vorletzten Jahrhundert
übrig geblieben und es ist eine regelrechte Entdeckungstour. Später erfahre
ich, dass ich in einem Viertel war, das ich besser gemieden hätte. Hier regiert
die Yakuzza oder so ähnlich, eine Art japanischer Mafia. Ich wunderte
mich schon über die umgebende Mauer und den Polizeiposten.
Pünktlich um 18 Uhr liefere ich mein Fahrrad ab und muss nun wieder
laufen. Immerhin darf ich nun in mein Hotelzimmer beziehen. Verdutzt stehe ich
da, es
gibt kein Bett. Moment mal, das kann nicht angehen, dies ist eindeutig
ein Hotelzimmer. Der rechte Frontallappen verweist auf die Rezeption, woraufhin der gesamte
Hypothalamus entschieden auf die bevorstehende Blamage aufmerksam macht. Das
Kleinhirn unterstützt die Ansicht, schließlich sei es für die Balance
zuständig, wird aber vom limbischen System nach kurzem Kompetenzstreit zurecht
gewiesen. Meine grauen Zellen der Hirnrinde kommunizieren heftig miteinander und geraten in einen gewissen Erregungszustand der
zwischen verwerfen und zustimmen verschiedenster Hypothesen liegt. Mehrere
Etagen tiefer greifen sich einige Axone bei den Synapsen, tanzen Ringelrein und kommen
dabei zu dem Schluss, dass vermutlich der
Wandschrank keiner ist, sondern ein ausklappbares Bett. Platz sparen. Falsch, es
ist ein Wandschrank. Aber darin liegen
dicke Matten, Decken, Kopfkissen und so was wie ein Oberbett. Platz sparen ist
eindeutig auch japanischer Stil. Das limibsche System lehnt sich gemütlich und
siegreich zurück, die Hypophyse spendiert allen ein paar µ-Gramm
ß-Endorphine, das Kleinhirn grollt ein wenig, ist dann aber durch die
Koordination des Bettmachens abgelenkt.
"Japanischer Stil" heißt zudem, dass ich um 23 Uhr wieder im
Hotel sein soll, dann wird abgeschlossen. Es ist Samstagabend und ich verweigere
mich. Etwas amüsiert und gleichzeitig indigniert schauen sich die beiden Herren an der Rezeption
an. Wir einigen uns darauf, dass ich bis 1 Uhr Ausgang bekomme. ¼ Koh-tau. Ich stelle meine
Uhr sicherheitshalber um eine Stunde zurück und werde später was von
internationaler Zeitverschiebung erzählen.
Es ist noch etwas Zeit bis zum Treff mit meinen beiden Japanern. Ein Gang durch die Markthallen und Supermärkte lässt mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Ich habe zwar meistens nicht die geringste Vorstellung um was es sich wohl handeln könnte, aber es sieht verführerisch lecker aus und bei einigen, der meist sushiähnlichen Gebilde, kann ich es erahnen: Japaner verstehen zu essen! Und so hole ich mir aus dem Sonderangebot - es ist kurz vor Toresschluss - ein ganzes Sortiment. Die Enttäuschung ist aber groß, einiges schmeckt nicht, besteht zu 98% aus Reis und die beigefügt Soße erweist sich als ingwerhaltig. Ingwer ist neben Zitronengras so ziemlich das einzige Gewürz, das ich nicht mag.
Yurom und Hideki erwarten mich bereits und schleppen mich dann in eines der
netten Restaurants im untersten Geschoss des Hauptbahnhofs und erklären
mir, dies sei der einzige Ort, wo es relativ preiswert ist. Wir einigen uns auf
Suppe und Shrimps (siehe auch den erschreckenden Artikel in Le Monde Diplomatique,
"Krabben für die Reichen", S. 6-7, August 2005, deutschsprachig, der
über die Ausbeutung von Mensch und Natur weltweit berichtet) mit Reis. Kaum ist das Essen auf dem Tisch, löffeln sich die
Beiden alles
in atemberaubender Geschwindigkeit rein, als wären sie kurz vor dem Verhungern.
Auf meinen ungläubigen
Blick hin erklären sie mir grinsend, dass es nur schmeckt, solange es heiß ist.
Bis jetzt haben sie
immer für mich gezahlt und sich geweigert auch nur einen ¥ von mir anzunehmen.
Also lade ich sie in meine Bar von der ersten Nacht ein, wo wir noch ein wenig
Englisch üben und Biertests durchführen. Besonders viel Inhalt kann beim
Sprechen nicht transportiert werden, also halten wir uns ans Trinken. Aber langsam wird es Zeit, dass ich zu meinem Hotel zurückkehre, man
erwartet mich ja dort sehnsüchtig. Wir verabschieden uns freundlich und
herzlich mit der Androhung, uns in Deutschland mal wieder zu treffen.
Der Manager steht schon am Eingang und freut sich, dass ich doch pünktlich
bin. Ja, ja die Deutschen.
In meinem Zimmer stelle ich fest, dass ich neben zwei Handtüchern auch einen Kimono
bekommen habe. Zwar schlafe ich
überwiegend nackt, kann aber dieser
Versuchung nicht widerstehen, trete vor den Spiegel und erblicke einen
angehenden Samurai. Jetzt fehlt nur noch ein Harakiri-Schwert und die Haare
müssten auch noch hochgesteckt werden - Wanderstock und zwei
Wäscheklammern reichen. Aber halt, da fehlt noch was. Ach ja, die
Schlitzaugen. Ich bemühe mich zu grinsen
und komme dem Original schon recht nahe. Aber ein grinsender Samurai ... ?
- Ich geh wohl besser schlafen, morgen ganz früh geht es nach San
Francisco. Und so träume ich von Blumen in meinem Haar und Sommer
und Meer und freie Liebe ... .
Es war nett Yurom und Hideki und andere kennenzulernen, Tempel, Schreine, Paläste und Parks zu besichtigen, aber ich glaube Japan wird nicht auf der Wunschliste meiner künftigen Reiseziele sehr hoch rangieren. Aber "Einmal sehen ist besser als hundertmal hören", sagt ein japanisches Sprichwort. Andere Touristen werden vermutlich ihre helle, kulturelle Freude haben, meinen Eindruck kritisch beleuchten und erweiterte Erkenntnisse erlangen.
© "Nik" Klaus Polak
seit 2/2003 als freier Journalist auf Weltreise
www.nikswieweg.com
Beachten Sie den Copyright-Hinweis. Bei Abdruck bitte Kontaktaufnahme: .